Autismus und ADHS – Keine seltene Kombination

Die Komorbidität von ADHS und Autismus-Spektrum-Störungen ist bemerkenswert hoch. Dabei zeigen verschiedene Studien unterschiedliche Werte zum gleichzeitigen Auftreten der beiden Störungsbilder. So ist, je nach Quelle, bei 30 % bis 80 % der Patienten und Patientinnen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) komorbid eine ADHS vorhanden. Gleichzeitig ist auch bei 20 % bis 50 % der Betroffenen von ADHS gleichzeitig eine […]

Die Komorbidität von ADHS und Autismus-Spektrum-Störungen ist bemerkenswert hoch. Dabei zeigen verschiedene Studien unterschiedliche Werte zum gleichzeitigen Auftreten der beiden Störungsbilder. So ist, je nach Quelle, bei 30 % bis 80 % der Patienten und Patientinnen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) komorbid eine ADHS vorhanden. Gleichzeitig ist auch bei 20 % bis 50 % der Betroffenen von ADHS gleichzeitig eine ASS diagnostizierbar. Damit ist die Prävalenz von beiden Störungen, wenn schon eine der beiden diagnostiziert ist, deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Doch was sind Indizien, dass tatsächlich beide Phänomene gleichzeitig vorhanden sind?

Symptome von ADHS und Autismus-Spektrum-Störungen

Um das gemeinsame Auftreten von ADHS und ASS besser verstehen zu können, ist es essentiell, vorerst die wichtigsten Symptome der beiden Störungsbilder zu verdeutlichen.

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung)
Die Kardinalsymptome einer ADHS, welche in der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) als F90.0: einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung klassifiziert wird, sind Störungen der Aufmerksamkeit und Hyperaktivität. Zudem können im Rahmen einer ADHS die Symptome eines leicht erregbaren Temperaments, der affektiven Labilität, also der leichten Schwankung der Stimmung, der emotionalen Überreagibilität, also einer Stressintoleranz, der Desorganisation und der Impulsivität auftreten. Dabei ist eine ADHS als Verhaltens- und emotionale Störung mit Beginn in der Kindheit zu betrachten. Zurzeit wird eine ADHS in diesem Sinne nur diagnostiziert, wenn die Symptome vor dem siebten Lebensjahr entstanden sind.

Autismus-Spektrum-Störungen
Zu den Autismus-Spektrum-Störungen zählen laut dem ICD-10 der frühkindliche Autismus (F84.0), der atypische Autismus (F84.5) und das Asperger-Syndrom (F84.5). Charakteristisch für alle Autismus-Spektrum-Störungen, die in die Kategorie der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen fallen, sind dabei Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie stereotype Verhaltensweisen. Diese stereotypen Verhaltensweisen sind bestimmte Handlungen, die immer wieder und auf dieselbe Art und Weise wiederholt werden. Dazu können zum Beispiel bestimmte Bewegungsabläufe (Flattern der Hände, Schaukeln des Körpers) oder sich wiederholende, feste Abläufe des Alltags (immer denselben Weg laufen, die gleichen Mahlzeiten essen, gewisse Rituale vor dem Schlafengehen etc.) gehören. Außerdem ist bei Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung die Wahrnehmung von Sinnesreizen intensiver. So können unter anderem gewisse Stoffe oder Mahlzeiten aufgrund der unangenehmen Textur gemieden werden, Geräusche können als besonders laut und verschwimmend empfunden werden oder es kann eine besondere Lichtempfindlichkeit vorliegen. Dies führt dazu, dass autistische Personen in gewissen Situationen besonders überfordert und vermeintlich empfindlich auf äußere Reize reagieren.

Wie eine ADHS entstehen auch Autismus-Spektrum-Störungen in der frühen Kindheit, wobei der frühkindliche Autismus sogar vor dem dritten Lebensjahr durch kognitive Entwicklungsverzögerungen auftritt. Der atypische Autismus und das Asperger-Syndrom entstehen in der Regel erst nach dem dritten Lebensjahr und können zum Beispiel durch motorische Entwicklungsrückstände erkannt werden. Viele Betroffene des Asperger-Syndroms besitzen in Teilgebieten sogar eine besonders hohe Intelligenz. Trotzdem haben sie, wie alle von Autismus betroffenen Menschen, meist Schwierigkeiten mit den sozialen Facetten ihrer Kommunikation.

Überschneidungen der Symptomatik von ADHS und ASS

Bei der Frage, ob nun beide Störungen vorhanden sein könnten, ist es wichtig in Betracht zu ziehen, dass sich gewisse Symptome von ADHS und ASS vermeintlich überschneiden können. Während Menschen mit Autismus die zuvor erläuterten stereotypen Verhaltensweisen aufweisen, welche sich in wiederholten Bewegungsabläufen zeigen können, haben Menschen mit ADHS einen grundsätzlichen Bewegungsdrang, welcher durch das Symptom der Hyperaktivität ausgelöst wird.
Dabei ist der grundlegende Unterschied in diesem Fall jedoch, dass die Hyperaktivität bei Menschen mit ADHS in einem allgemeinen Rahmen und nicht wie beim Autismus stereotyp, fixiert und repetitiv auftritt.

Außerdem kann es bei beiden Störungsbildern zu einem übermäßigen Redefluss kommen. Menschen mit ADHS neigen, vor allem wenn sie im Rahmen ihrer Störung das Symptom “Impulsivität” erfüllen, dazu, andere zu unterbrechen und mit Dingen regelrecht “herauszuplatzen”. Autismus-Betroffene hingegen könnte das Gleiche passieren, da sie Schwierigkeiten haben soziale Regeln und Indikatoren nachzuvollziehen. Durch die sensorische Überempfindlichkeit können auch Personen mit Autismus-Spektrum-Störungen an Aufmerksamkeitsproblemen leiden. Des Weiteren können als Folge der Reizüberflutung bei Autisten Wutausbrüche auftreten, wie es auch bei Menschen mit ADHS, welche das Merkmal “Temperament” erfüllen, möglich ist.

Deutlich wird also, dass die Unterscheidung der beiden Störungsbilder häufig gar nicht so eindeutig ist. Für die Diagnose von ADHS und Autismus-Spektrum-Störungen muss also eine professionelle, differenzierte diagnostische Einschätzung erhoben werden, die letztendlich festlegt, ob eine oder beide Störungen vorhanden sind.

Spezielle Probleme von Menschen mit ASS und ADHS

Das komorbide Vorliegen von sowohl ADHS als auch einer Autismus-Spektrum-Störung kann zu einem stetigen internen Konflikt führen, der sehr frustrierend sein kann. So sind Struktur und Routine sehr wichtig für Menschen, die eine Autismus-Spektrum-Störung haben, während es für Menschen mit ADHS oder ADS schwierig ist, sich an eine Routine zu halten und einen strukturierten Alltag zu gewährleisten. Dies kann als stark belastend von der betroffenen Person empfunden werden. Auch die Dissonanz zwischen dem ständigen Verlangen nach Reizinput der ADHS und der schnellen Reizüberflutung im Rahmen einer Autismus-Spektrum-Störung kann sich als schwierig gestalten. Vor allem bei Menschen mit Asperger-Autismus können in diesem Rahmen Spezialinteressen häufiger wechseln, als es üblich ist, da Menschen mit ADHS schneller das Interesse an Dingen verlieren als der Schnitt der Allgemeinbevölkerung. Sind ADHS und ASS gleichzeitig vorhanden, kann es dazu kommen, dass sich verschiedene Symptomatiken der beiden Störungen in gewissen Situationen unterschiedlich ausprägen. Generell besteht die Gefahr, dass eine der Komorbiditäten aufgrund unzureichender Differentialdiagnostik vollständig oder lange übersehen wird.​

Wege zur Diagnose

Wie bereits erwähnt ist es wichtig, für die Diagnose von ADHS und Autismus-Spektrum-Störungen eine professionelle, differentialdiagnostische Einschätzung zu erheben. In unserer Praxis bieten wir sowohl die Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen als auch von ADHS und ADS an. Sollte bei einer der beiden Diagnostiken ein Verdacht auf die jeweils andere Störung auftreten, klären wir innerhalb nur eines weiteren Termins das Vorliegen dieser Störung ab.

Weitere Informationen zur Diagnostik von ASS und ADHS finden Sie hier:
ADS/ ADHS Sprechstunde
Autismus-Sprechstunde
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