Hyperfokus, Exekutive Funktionen, Affektive Labilität und mehr: Begriffe zu ADHS und ADS

Das Verständnis von Aufmerksamkeitsdefizitstörungen wie ADS und ADHS ist in der Literatur oft mit gewissen Begriffen verbunden, welche hier näher erläutert werden sollen. Hyperfokus Das Phänomen des Hyperfokus wurde erstmals von dem US-amerikanischen ADHS-Experten Russel Barkley verwendet. Beschrieben wird mit dem Begriff in Zusammenhang mit ADHS ein nicht selektiv steuerbarer, flow-ähnlicher und von Stimuli abhängiger […]

Das Verständnis von Aufmerksamkeitsdefizitstörungen wie ADS und ADHS ist in der Literatur oft mit gewissen Begriffen verbunden, welche hier näher erläutert werden sollen.

Hyperfokus

Das Phänomen des Hyperfokus wurde erstmals von dem US-amerikanischen ADHS-Experten Russel Barkley verwendet. Beschrieben wird mit dem Begriff in Zusammenhang mit ADHS ein nicht selektiv steuerbarer, flow-ähnlicher und von Stimuli abhängiger Zustand erhöhter Konzentration. In der Verbindung des Phänomens mit ADHS wird deutlich, dass ein Aufmerksamkeitsdefizit, wie er bei einer ADHS und ADS vorliegt, nicht zwangsläufig die Fähigkeit, sich konzentrieren zu können, ausschließt. Während von ADHS betroffene Menschen meist große Schwierigkeiten haben, sich länger auf eine Thematik zu konzentrieren, welche als langweilig empfunden wird, kann bei einem besonderen Interesse ein Zustand wie der Hyperfokus eintreten.

Der Hyperfokus beschreibt also die Fähigkeit von Menschen mit ADHS, ihre Aufmerksamkeit und Konzentration in besonderem Maße auf ein bestimmtes Thema zu lenken. Währenddessen kann der Fokus mehrere Stunden oder sogar Tage andauern. Häufig vergisst die betroffene Person in diesem Zustand alles andere um sich herum und ist in der Lage, die volle Kraft ihrer Konzentration auf eine Aufgabe zu richten – ohne Ablenkungen oder Unterbrechungen.
Häufig wird der Hyperfokus als eine besondere Ressource betrachtet. Die Fähigkeit, effizient an langwierigen Aufgaben zu arbeiten, kann besonders für Menschen mit ADHS extrem hilfreich sein. Im Zustand der Hyperfokussierung sind sie dazu in der Lage, besonders effizient zu arbeiten und Informationen extrem eindringlich aufzufassen. Ohne die Hyperfokussierung ist dies für Menschen mit Aufmerksamkeitsdefiziten quasi unmöglich.

Trotz dieser Umstände betrachtete Barkley den Hyperfokus als eine pathologische Erscheinung im Sinne von Perseveration (das nicht steuerbare Haftenbleiben und Nachwirken psychischer Eindrücke), die sich eher einschränkend als positiv auf die Betroffenen auswirkt.
Generell kann das Phänomen also sowohl ein Segen als auch ein Fluch für Menschen mit ADHS sein. Auf der einen Seite führt die intensivierte Konzentration zu überdurchschnittlichen Ergebnissen und besseren Einsichten in die betroffene Thematik. Andererseits kann der Hyperfokus jedoch auch zu einer Überlastung führen, wenn zu viel Intensität erzeugt wird.
Wichtig zu erwähnen ist in diesem Kontext, dass die Evidenzlage in diesem Bereich aktuell eher gering ist. Erste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass der Hyperfokus nicht exklusiv Menschen mit ADHS betrifft. So können beispielsweise auch Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen in eine Hyperfokussierung geraten.

Exekutive Funktionen

Der Begriff der exekutiven Funktionen spielt bei der Diagnose von ADHS oder ADS eine wichtige Rolle. Der Ausdruck wurde 1982 von Muriel Lezak eingeführt und bezeichnet alle kognitiven Fähigkeiten, welche für die Kontrolle und Selbstregulierung des eigenen Verhaltens erforderlich sind. Unsere exekutiven Funktionen ermöglichen es, dass wir Dinge planen, einhalten, kontrollieren, korrigieren und ausführen können. Diese Funktionen sind von großer Wichtigkeit und werden täglich benötigt.
Die Steuerung der Aufmerksamkeit ist als Unterbereich dieser Fähigkeiten zu betrachten. Folglich bedeutet das Vorliegen einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (egal, ob mit oder ohne Hyperaktivität) gleichzeitig auch immer eine Störung der exekutiven Funktionen. Wie stark diese Störung ausgeprägt ist, ist von Person zu Person unterschiedlich. Manche von ADHS oder ADS betroffene Menschen entwickeln sogar so gute Kompensationsmechanismen, dass von außen gar nicht zwangsläufig erkennbar ist, dass sie Schwierigkeiten mit der zuverlässigen Umsetzung von Vorhaben aufweisen.

Oft sind es dabei gerade die besonders eintönigen, repetitiven und vermeintlich einfachen Aufgaben, welche Menschen mit ADHS schwer umsetzen können. Dies kann dazu führen, dass selbst Betroffene mit einem hohen Bildungsabschluss, die „eigentlich viel können“, nicht in der Lage sind „die einfachsten Dinge umzusetzen“, zum Beispiel einen Wocheneinkauf zu tätigen.
Auch hier ist es wichtig zu erwähnen, dass auch der Begriff der exekutiven Funktionen, zwar von großer Wichtigkeit für das Verständnis von ADHS und ADS ist, jedoch nicht exklusiv diesem Störungsbild zugeordnet wird. Andere Störungen, bei welchen die exekutiven Funktionen nicht neurotypisch funktionieren, sind beispielsweise Autismus-Spektrum-Störungen.

Affektive Labilität

Das Vorliegen einer affektiven Labilität ist ein Nebensymptom von ADHS und ADS und kann umgangssprachlich mit “Stimmungsschwankungen” beschrieben werden. Betroffene von Aufmerksamkeitsdefizitsstörungen, welche das Symptom der affektiven Labilität erfüllen, leiden also an raschen und unvorhersehbaren Wechseln der Stimmungslage. Sie können in einem Moment extrem redefreudig und angetrieben sein und sich im anderen Augenblick plötzlich sehr niedergeschlagen und antriebslos fühlen. Oft treten diese Schwankungen ohne besondere äußere Anlässe („aus dem Nichts“) auf und können mehrmals täglich stattfinden.

Emotionale Überreagibilität

Wie die affektive Labilität ist auch die emotionale Überreagibilität ein Nebensymptom von ADHS und ADS. Sie beschreibt das Phänomen, dass viele Menschen, die von Aufmerksamkeitsdefiziten betroffen sind, eine niedrigere Stresstoleranz haben als die Allgemeinbevölkerung. Die emotionale Überreagibilität ist also eine Unfähigkeit, adäquat mit alltäglichen Stressoren umzugehen. Manche Betroffene berichten in diesem Sinne von Reizüberflutungen oder sogar Black-Outs.

Impulsivität

Viele von ADHS (und selten auch von ADS) Betroffene weisen eine niedrige Impulskontrolle auf. Sie handeln oft unüberlegt und geraten als Folge häufig in Konflikte. Es fällt ihnen häufig schwer, impulsive Entscheidungen zu vermeiden, was dazu führen kann, dass sie viel umziehen oder fluktuierende Partnerschaften führen. Es kann dazu kommen, dass diese Menschen eine Tendenz dazu haben, andere zu unterbrechen, regelrecht mit Kommentaren herausplatzen und eine fehlende Gedanken- und Ideenkontrolle besitzen, weshalb sie oft ungebremst reden. Außerdem sind sie sprunghaft und können schlecht warten. Dies kann zu Problemen im sozialen Zusammenleben führen oder generell dafür sorgen, dass Betroffene selten langfristig an einer Sache dran bleiben können. Dies sind Schwierigkeiten, welche die Betroffenen sehr oft stark belasten.

In unserer Praxis bieten wir die Diagnostik von ADS und ADHS an. Weitere Informationen zur Diagnostik finden Sie hier:
ADS/ ADHS Sprechstunde

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